674
Xxv. §. 14. Blick in die Heidenwelt.
seit Anfang dieses Jahrhunderts haben sich die Sendboten vieler eng-
lischer und amerikanischer Missionsvereine mit ihnen gemischt, so daß
Amerika jetzt nicht mehr als ein heidnischer Welttheil zu betrachten ist,
sondern als christlicher, halb evangelisch und halb katholisch. Und da-
bei ist noch eine ganz besondere, tief ergreifende Thatsache hervorzu-
heben. Bekanntlich herrscht in allen mittleren und südlichen Staaten
Amerika'ö die Sklaverei. Schwarze Sklaven waren aus Afrika her,
zum Theil unter empörenden Grausamkeiten nach Amerika geführt, um
in den Bergwerken und den Plantagen zu arbeiten. Man hatte wohl
Recht, sie zu beklagen als die herabgewürdigtsten und elendesten unter
den Söhnen Ham's, der aller seiner Brüder Knecht sein soll. Und
siehe, gerade diesen elendesten Knechten ging das helle Licht, der süße
Trost des Evangeliums am ehesten aus. Mit Haufen fielen sie den
barmherzigen und demüthigen Boten Jesu Christi zu. Wären sie in
ihrem Vaterlande, in Afrika, geblieben, sie würden noch lange nicht,
vielleicht in ihren: Leben nicht, eine Kunde vom Evangelium erlangt
haben. Denn kaum die äußersten Küstenränder Afrika's sind mit Mis-
sionaren versehen. Bis in das Innere des Landes, von woher die
meisten Sklaven stammen, hat noch kein christlicher Prediger zu drin-
gen vermocht, da das Land aus allen Seiten von todbringenden Rän-
dern umsäumt ist. So mußten sie denn als Sklaven aus ihrem irdi-
schen Heimathland hinweggeführt werden, um in der Fremde zur ewigen
evangelischen Freiheit und zur seligen Heimath der Kinder Gottes ge-
führt zu werden. — Auch im südlichen Afrika, im Capland, ist die
Brüdermission die erste gewesen. Sie hat dort 1736 begonnen, und
nachdem sie von den europäischen Ansiedlern vertrieben war, zum zwei-
ten Male 1792. Auch dort haben sich eine Menge englischer, schotti-
scher, amerikanischer, deutscher und sogar französischer Missionare an-
geschlossen; das ganze Capland ist als ein christliches Land zu bezeichnen,
und weithin in'ö Innere des unbekannten Landes, zu den Kafsern,
Betschuanen und Hottentotten sind die Boten Christi vorgeschritten,
überall, wohin sie kamen, die Erweisungen göttlicher Gnaden mit sich
tragend.
Mittlerweile hat sich auch die dänisch-hallische Mission in Ost-
indien weiter entwickelt. In Ostindien war die Aufgabe eine ganz
andere, als in den amerikanischen und afrikanischen Gebieten und auf
den Inseln der Südsee. An allen diesen Punkten waren es wilde, rohe
Völkerschaften, auch die gefördertsten unter ihnen doch nur mit sehr
geringen Anfängen staatlicher Bildung und geistiger Entwicklung, ihr
Götzendienst roh, scheußlich, abgeschmackt, ihre religiösen Vorstellungen
unsinnig, ekelhaft, oder ganz in Vergessenheit gerathen, ihre äußere
Lage dürftig, unsicher und allem Jammer preisgegeben. Da konnte
denn kein Zweifel sein, daß Viele, daß eine große Menge sich dem Rufe
dessen zuwenden würde, der alle Mühseligen und Beladenen so freund-
lich zu sich einladet. Aber anders steht die Sache im südöstlichen Asien.
Jene beiden großen Reiche Ostindien und China, die beiden letzten
noch aus uralter grauer Heidenzeit unverändert bis in unsere Zeit hin-
einreichenden Heidenstaaten voll der reichsten Bildung und alt einhei-
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Extrahierte Personennamen: Jesu_Christi
Extrahierte Ortsnamen: Amerika Afrika Amerika Afrika Gottes Afrika Christi Ostindien Asien Ostindien China
676
Xxv. §. 14. Blick in die Heidenwelt.
die glühenden Sandwüsten Afrika's. Sie übersteigen die Felsenketten
Nordamerika's und die Gletscherriesen des Himalaya. Sie predigen
den Negersklaven in der Gluthhitze der westindischen Inseln und sammeln
ihre schönen olivenfarbigen Zuhörer unter den Palmen der paradiesischen
Eilande der Südsee. Sie reden in der sonderbaren glucksenden
Sprache mit den Eskimos, sie schnalzen mit den Hottentottenstämmen
des südlichen Afrika, sie singen den Chinesen ihre wunderlichen Silbcn-
figuren nach. So stehen sie und predigen unter allen Zonen, in allen
Sprachen der bewohnten Erde, und niemals wissen sie einen andern
Inhalt, ein anderes Thema als die Predigt vom gekreuzigten Christus,
der die bußfertigen Sünder selig macht. Und diese einfache Verkündi-
gung ist es, welche den rothen wie den braunen, den schwarzen wie
den gelben Sohn der Wildniß zu den Füßen des Herrn Jesu nieder-
zwingt, ihn aus einem Tiger zu einem Lamme, aus einem stumpfsin-
nigen Müßiggänger zu einem geschickten, fleißigen, demüthigen und
eifrigen Jünger Christi macht. Die Erde wird voll werden der Er-
kenntniß des Herrn, das Evangelium soll gepredigt werden aller
Creatur, und das wird bald geschehen; denn nur wenig Orte in der
Welt sind noch übrig, wo es noch nie, zu keiner Zeit geschehen ist,
wo es auch für's Erste, so weit Menschen Augen reichen, noch nicht
geschehen kann.
Auch unser Vaterland hat sich nach dem Schluß des Befreiungs-
krieges alsbald auf's Neue aufgemacht, um eine desto reichlichere
Schaar von Boten zu dem großen über die ganze Erde zerstreuten
Heere stoßen zu lassen. Während in England zu Ende des vorigen
Jahrhunderts sich eine Missions-Gesellschaft neben der andern erhob,
war in Deutschland unter dem Druck des allgemeinen Unglaubens die
einzige Misstonsanstalt, die vorhanden war, zu Halle, gelähmt und ein-
geschlafen. Aber das Beispiel Englands erweckte bald die Nacheiferung
unter den „Stillen im Lande". Jänicke, der vielgenannte gottselige
Prediger in Berlin, errichtete 1800 seine Missionsschule, aus der so
viele reichbegnadigte Boten des Evangeliums ausgegangen sind. Meist
nach englischen Missionsstationen. Denn die Engländer fanden gar bald,
daß die deutschen Missionare den englischen noch in vielen Rücksichten
vorzuziehen seien, und arbeiten deshalb auch jetzt noch immer sehr
gern mit deutschen Sendlingen. Als die erste selbständig aussendende
Missionsgesellschaft trat 1816 die baseler Gesellschaft hervor. Die
Kalmükken im russischen Heer, welche 1814 und 1815 in der Nähe
von Basel sich zeigten, hatten etliche der angesehensten Männer daselbst
zu dem Entschluß gebracht, diesen Heiden oder ihren Nachbaren und
Stammesgenoffen das ewige Licht der Offenbarung zuzutragen. Ihre
ersten Boten gingen deshalb in die Länder am schwarzen und kaspi-
schen Meer, nachher als ihre Wirksanikeit dort gehemmt wurde, sind
sie zum Theil nach der Guineaküste, später auch nach China, vorzugs-
weise aber nach der malabarischen Küste in Ostindien geschickt. Süd-
wärts von Bombay, an dein schmalen Küstenstrich entlang und auf den
zunächst angrenzenden Bergen entfalten sie seit inehr als zwaiizig Iah,
ren (1834) ihre glaubensvolle, eifrige und erfolgreiche Thätigkeit unter
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T27: [Kirche Luther Lehre Kloster Jahr Bischof Schrift Papst Reformation Wittenberg], T22: [Volk Bewohner Sprache Land Bevölkerung Einwohner deutsche Religion Million Stamm]]
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Extrahierte Personennamen: Christus Jesu
Extrahierte Ortsnamen: Afrika Christi England Deutschland Englands Berlin Basel China Ostindien Bombay
Xxv. §. 11. Christliche Anstalten und Vereine. 845
großen, reichbegnadigten Anstalten und Gesellschaften hervor, welche
den großen Beruf Englands zum ersten Male in das rechte Licht stell-
ten , den Beruf: christlichen Glauben und Gesittung, protestantische
Lehre und praktische Frömmigkeit weit hinaus zu verbreiten über Län-
der und Meere in die Heidenwelt, und zugleich auch in der weichenden
und abgefallenen europäischen Christenheit den christlichen Ernst und
gläubigen Eifer neu zu beleben. Jene großen und unermüdlich thäti-
gen Vereine für Heidenmission und Judenmission, für Verbreitung von
Tractaten und heiligen Schriften, die nun alle schon ihr fünfzigjähri-
ges Jubiläum gefeiert haben, welch eine Fülle von Erfrischung und
Förderung hat die gesammte Christenheit und Heidenwelt, hat inson-
derheit auch unser Vaterland ihnen zu danken. Als die Bibelge-
sellschaft, die bald ihre Hülfsvereine über ganz Deutschland und die
Nachbarstaaten verzweigte, die ersten Nachforschungen anstellen ließ,
wie viel Bibeln denn eigentlich wohl in der Welt zu finden seien, da
ergab sich, daß die 200 Millionen Christen, darunter etwa 60 Mil-
lionen evangelischer Christen, noch kaum 5 Millionen Bibeln be-
säßen, daß also von einer täglichen Beschäftigung mit dem theuren
Gotteswort weder bei Einzelnen noch in den Familien die Rede sein
könne. Und nun ist die Bibel übersetzt in 152 Sprachen (damals
kannte man sie nur in 27 Sprachen) und vertheilt in 50 Millionen
Eremplaren, und wird noch fort und fort mit immer neuem Eifer in
jedes Haus, an jedes Schulkind, an alle Neuvermählten ausgetheilt.
Kann solche Saat ohne Frucht bleiben? Gottes Wort wird nicht
leer zurückkommen.
Noch schneller und lieblicher zeigten sich die Rückwirkungen der
begonnenen Heidenmissionen. Die Nachrichten, welche von den
Erfolgen der Missionen zu uns herübertönten, klangen den meisten
Ohren wie ein Wunder, wie ein Märchen, und es schien ihnen un-
glaublich, daß die einfache Predigt des Evangeliums solche Wirkungen
haben könne, daß sie aus rohen Kannibalen gesittete Menschen, aus
blutigen Mörderrotten christliche Gemeinden, aus faulen, ekelhaften, in
Schmutz und Unzucht verkommenen Wilden demüthige, liebevolle, glau-
benseifrige Jünger des Herrn machen könne. Wie viel Hunderte,
wie viel Tausende im Vaterlande sind, durch die Missionsberichte
zuerst auf die Herrlichkeit des Evangeliums aufmerksam gemacht,
bald erwärmt, begeistert und selbst mit hingezogen zu den Füßen eines
solchen Siegers, dem auch die Enden der Erde dienstbar werden
müssen. Schon 1815 bildete sich die erste Missionsanstalt zu Basel,
und immer mehre haben sich ihr im westlichen und östlichen und
nördlichen Deutschland angeschlossen; und über unser ganzes
Land breitet sich eine Kette von Vereinen, die allesammt mit Hand an-
legen wollen, um bei so hochgesegneter Christenarbeit mitzuhelfen. —
Aber war man nicht dasselbe, was man den Heiden that, auch den
unglücklichen, verkommenen Brüdern in der Heimath schuldig, die, sei
es ohne ihre Schuld oder mit eigner Schuld, nie das rechte, lautere,
trostbringende Evangelium gehört haben? Es entstand die sogenannte
innere Mission oder Heimathmission, welche kein anderes Ziel hat,
TM Hauptwörter (50): [T27: [Kirche Luther Lehre Kloster Jahr Bischof Schrift Papst Reformation Wittenberg], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T22: [Volk Bewohner Sprache Land Bevölkerung Einwohner deutsche Religion Million Stamm]]
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Extrahierte Personennamen: Ernst
Extrahierte Ortsnamen: Englands Deutschland Basel Deutschland
658 Xxv. §. 13. Nordamerikamsche Zustände.
verfaulten Staaten des spanischen Amerika, daß es gleich Anfangs
eine ehrenwerthere Bevölkerung ausgenommen hat. Nicht golddurstige
Abenteurer waren es, welche sich über die nordamerikanischen Küsten-
länder wie über eine reiche Beute herwarfen, sondern ernste und ge-
reifte Christen, die um ihres Glaubens und ihrer kirchlichen Sitte
willen aus dem Lande ihrer Väter weichen und sich jenseit des
Oceans eine neue Heimath suchen mußten. Die Haupteinwanderung
geschah um 1620 von streng gewissenhaften, gesetzlich eifrigen Puri-
tanern aus England. Unter Psalmengesang begannen sie im
Schweiße ihres Angesichts den rauhen Boden des sogenannten Neu-
England umzubrechen und die Waldeswüste in fruchtbare Aecker und
blühende Städte zu verwandeln. Andere verfolgte Protestanten (Hu-
genotten) kamen aus Frankreich, andere aus Holland und Deutsch-
land (Pfalz, Salzburg). Quäker richteten sich in Pennsylvanien ein,
eben dort siedelte sich auch die Brüdergemeinde an. Aus England
kam ein fortwährender Zufluß, je nachdem die kirchlichen Verfolgun-
gen dort gegen die eine oder die andere Partei gerichtet waren, Ka-
tholiken, Episcopale, Presbyterianer, Methodisten u. s. w. Erst in
neuerer Zeit hat die massenhafte Einwanderung ungläubiger, gegen
das Chriftenthum gleichgültiger oder feindseliger Protestanten begonnen,
leider in überwiegender Zahl aus Deutschland. Diese überaus ge-
mischte Bevölkerung, die sich erst allmälig zusammenzuschmelzen und eine
eigcnthümliche Nationalität zu bilden beginnt, stand ursprünglich unter
englischer Herrschaft und hatte nicht bloß die Sprache, sondern auch
die politischen, gerichtlichen und gesellschaftlichen Gewohnheiten Eng-
lands auf amerikanischen Boden übertragen. Zwar gab es auch fran-
zösische Besitzungen in Cañada und am Mississippi; die Holländer, die
Schweden, auch die Spanier hatten hier und va kleinere Besitztheile;
aber es ist ihnen nach und nach Alleö wieder abgenommen, und nach
fast hundertjährigen blutigen Kämpfen hat auch Frankreich weichen
und im Pariser Frieden 1763 (nach dem Schluß des siebenjährigen
Krieges in Deutschland) seine Besitzungen in Nordamerika an Eng-
land abtreten müssen (1803 gab Frankreich auch Louisiana ab). Eng-
land beherrschte also in Amerika ein weites Gebiet, fast so groß wie
halb Europa. Aber es sollte erfahren, daß eine europäische Bevöl-
kerung jenseit des Meeres, über einen ungeheuren Flächenraum aus-
gebreitet, in Kämpfen und Wagnissen aller Art geübt, reich und mäch-
tig durch Handel und Grundbesitz, kühn in ihren Entschlüssen, wag-
halsig in der Ausführung, sich nicht so leicht von Europa aus Gesetze
vorschreiben läßt, am wenigsten von einer parlamentarischen Regierung.
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Extrahierte Ortsnamen: Amerika England England Frankreich Holland Salzburg Pennsylvanien England Deutschland Cañada Schweden Frankreich Deutschland Nordamerika Frankreich Louisiana Amerika Europa Europa
Xxv. §. 13. Nordamerikanische Zustände. 66z
weise von aller kirchlichen Gemeinschaft lossagen sollten (schlimmer ist
es mit den eingewanderten Deutschen, die sich meist freuen, dem ver-
meintlichen kirchlichen Zwang ihrer Heimath entronnen zu sein); aber
dennoch ist die Zahl Derjenigen überaus groß, die entweder gar nicht
getauft oder nicht confirmirt sind und nie in ihrem Leben das heilige
Abendmahl genießen. Die Zahl aller Communicanten in sämmtlichen Kir-
chen und Gemeinden Nordamerika's beläuft sich, heißt es, höchstens auf fünf
Millionen; das wäre kaum der fünfte Theilder Gesammtbevölkerung. Und
auch von diesen Communicanten muß man sagen, daß viel Lausende
unter ihnen kein Haar besser sind, als die schlimmsten Weltmenschen.
Allein dies ist bei Weitem nicht der wundeste Punkt im kirchlichen Le-
den der Amerikaner, denn die Zustände in den protestantischen Ländern
Europa's sind ja zum Theil noch viel schlimmer. Auch mit dem dort
eindringenden Katholicismus steht es nicht so sehr schlimm, und der
Kampf gegen ihn wird in Amerika meist siegreicher geführt als in
Europa, weil ihm dort die altgeschichtlichen Grundlagen fehlen und
keinerlei Staatsmächte da sind, die ihm Vorschub leisten. Eben so dür-
fen wir über die immer noch fortdauernde Duldung der Greuelwirth-
schaft des Sklavenwesens in den südlichen Staaten nicht allzu hart ur-
theilen, denn es ist eben ein von Alters her vererbtes Uebel, und es
ist leichter zu sagen, daß es entfernt werden muß, als Mittel anzuge-
den, wie es zu entfernen ist, ohne Staat und Kirche, ohne Herren
und Sklaven, Weiße und Schwarze in die allerbedenklichste Krisis zu
stürzen. Auch manches Andere, was uns sehr grell und schneidend
in den kirchlichen Zuständen der Amerikaner entgegentritt, wie z. B. der
lasterhafte Unsinn des Mormonismus, dürfen wir doch nicht als Kenn-
zeichen des christlichen Lebens in Amerika überhaupt ansehen, sondern
nur als ein böses Geschwür, das sich dort angesetzt hat und früher oder
später jedenfalls aufgestochen werden wird. An den weiter verbreiteten
Teufelsspuk des Geisterklopfens und Tischrückens und sonstiger Zauber-
wirthschaft dürfen wir gar nicht mal allzu stark erinnern, denn leider
haben wir Europäer, ja wir besonnenen Deutschen, auch diese Tollhei-
ten mit höchster Begeisterung von dorther aufgenoimnen und nachgeäfft.
Was aber schlimmer als das alles und von viel weiter greifenden
Folgen ist, das ist die protestantischezerrissenheit, diespaltung in eine
fast unglaubliche Zahl von kleineren oder größeren Kirchen, Secten,
Parteien und Denominationen, die sich von Jahr zu Jahr, man möchte
sagen, von Tage zu Tage vervielfältigen, und in's Unendliche sich zu
steigern drohen. Dadurch werden nicht bloß die schon bestehenden Ge-
meinden, sondern die einzelnen Familien in kläglicher Weise beunruhigt
und zerriffen, und das ganze Land mit einer höchst verderblichen, wahr-
haft heillosen kirchlichen Fehde, mit einem beständigen Kriege Aller
gegen Alle erfüllt. Und wären nur noch die Mittel da, um solche
Fehden in gründlicher und erschöpfender Weise zu Ende zu bringen!
Aber bei der Zerrissenheit und Zerstückelung der Kirchen und bei der
allgemeinen Richtung auf das Aeußere, ist es kaum möglich, für allsei-
tige gründliche Durchbildung der Theologen, für Heranbildung tüchti-
ger und wahrhaft zum Himmelreich gelehrter Geistlicher zu sorgen.
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Xxv. §. 14. Blick in die Hcidenwelt.
665
rohen Veröffentlichungen eigner oder fremder Sündenwege, oder seliger
aber noch nicht vollendeter Gnadenführungen unseren deutschen Herzen
eine unerquickliche, fast abstoßende Erscheinung.
In Summa, es wehet und wirkt auch noch in Nordamerika der
Geist Gottes, und wird vielleicht noch Großes dort vollbringen, aber
die äußeren Formen, in denen er stch dort kund giebt, bleiben uns
Deutschen fremd und keineswegs wünschenswerth. Die socialen aber
und die politischen Zustände, die schon ganz nahe an das Abthun aller
Obrigkeit anstreifen, nicht minder die kirchliche Zerrissenheit und theo-
logische Ausmagerung bringen uns keineswegs große Hoffnungen für
eine zukünftige herrliche Entwicklung, sondern vielmehr das traurige Bilv
eines bodenlosen Durcheinanders. Noch wird Amerika, der große Ab-
zugscanal alles europäischen Ueberschusses und Ausschusses, aber auch
der Zufluchtsort vieler durch europäische Schuld ausgetriebenen theuren
Seelen, von dem Sauerteig des Evangeliums zusammengehalten und
durchsäuert. Aber vielleicht ist die Zeit nicht mehr fern, daß die wüste,
ungeheure Mehlmasse wild auseinanderfahren und unendlichen Staub
und Schrecken rings um sich her verbreiten wird.
§. 14. Blick in die Heidenwelt.
In Asien, auf den Hohen Armeniens, am Enfrat, am Jordan,
am Nil hat die Geschichte des Menschengeschlechts ihren Ursprung ge-
nommen, vom Hindukusch sind die Vorväter unseres Geschlechts herabge-
stiegen, in Vorder-Asien, Griechenland, Italien erzieht bis zu den Zei-
ten Christi hin der höchste Herr und Weltenlenker die Heidenwelt bis
zu dem Punkte, da sie fähig ist, die Boten des alten Gottesvolks und
die ewige Heilsbotschaft zu empfangen. Von Rom aus wird der
ganze Westen Europa's, wird auch unser Vaterland und der gestimmte
Norden für das Christenthum gewonnen, und alsbald wird das christ-
liche Europa der alleinige Boden der Geschichte und aller menschlichen
Entwicklung. In das schaurige Halbdunkel des Islam sinken alle
die Länder zurück, welche die Wiege der altgeschichtlichen Völker wa-
ren, und ringsum sie her breitet sich die schwarze grause Nacht des
finstersten Heidenthums aus. Sollten aber alle Völker des Mittlern
und östlichen Asiens, Afrika's, Amerika'ö und Australiens ohne Ahnung
des ewigen Lichtes bleiben, welches in die Welt gekommen ist, um
alle Völker zu erleuchten und selig zu machen an aller Welt Enden?
Es sollte keineswegs also sein. Aber der Herr allein weiß Zeit und
Stunde für jegliches Volk und jeglichen Theil der Erde. Jahrhun-
derte hat Europa in Finsterniß gelegen, während das Licht seines Wor-
tes in Asien sich vom Jordanlande aus bis weit über den Eufrat und
über den Nil verbreitete. Wiederum sind anderthalb Jahrtausende
verflossen, ehe dem christlichen Europa die entlegneren Heidenländer
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Extrahierte Personennamen: Jordan
Extrahierte Ortsnamen: Nordamerika Gottes Amerika Asien Armeniens Griechenland Italien Christi Europa's Europa Asiens Europa Asien Europa
n. §. 1. Neuer Abfall von Gott.
11
verwiesen. Ein getheiltes Reich ist ein geschwächtes Reich. So
entstanden verschiedene Sprachen und verschiedene Völker auf Erden.
Mochten sie nun mit einander den großen Wettstreit beginnen, wer
die ihm vom Herrn verliehenen besonderen Gaben zur reichsten Ent-
faltung bringen werde. Gott entließ sie allesammt aus seiner beson-
dern, d. h. aus seiner geoffenbarten Leitung und Regierung, und ließ
sie ihre eignen Wege gehen, bis sie endlich müde und matt, nach gänz-
licher Zertrümmerung aller ihrer hohen Pläne, und vergeblichem Su-
chen nach dauernder Befriedigung, sich dereinst alle am Fuße des
Kreuzes wieder zusammenfinden würden.
So wie die Völker aus einander gefahren waren, vereinzelten und
zersplitterten sie sich auch immer mehr, und jede neue Abtrennung eines
besonder» Volks von der größer» Hauptmasse war wiederum von
einer neuen Veränderung der Lippen, von der Bildung einer neuen
Sprache begleitet, so daß mit den verschiedenen Völkern zugleich ihre
Sprachen sich gebildet haben; alle unter einander verwandt, in einzelne
große Hauptgruppen zerfallend, alle ein Geschenk aus der Hand Got-
tes, aber mit dem ausartenden und versinkenden Geschlecht auch zum
Theil furchtbar entartet.
Die Völker begannen nun ihre langen und weiten Wanderungen
über die ganze Erde, bis ein jegliches das Land und die Gegend gefun-
den hatte, wo sie nach Gottes Rathschluß wohnen und die ihnen ver-
liehenen geistigen und sittlichen Kräfte zur Anwendung bringen sollten.
In jedem Lande begann die geheimnißvolle Arbeit der Natur und Um-
gebung an dem eingewanderten Volk, und wiederum des Volkes an
der Natur und Beschaffenheit des Landes, also daß beide Theile einan-
der zurichteten und förderten, bis sie vollständig für einander paßten.
Die Kinder Japhet nahmen allmälig die ganze nördliche Hälfte
der alten Welt ein, und die Kinder Ham's die ganze südliche Hälfte.
Zwischen ihnen beiden, da wo beide Geschlechter sich zu mischen began-
nen, auf einem ziemlich beschränkten Raume, im vorder» Asten wohn-
ten die Nachkommen des gesegneten Sem. Im Großen und Ganzen
ist es so geblieben bis auf den heutigen Tag. Auch in der neuen
Welt sind Ham's und Japhet's Söhne zusammengetrofsen, und
auch da erfüllt sich das alte Fluchwort, daß Ham's Nachkomme ein
Knecht sein soll unter seinen Brüdern.
Alle die Völkerschaaren in der Zerstreuung vergaßen allmälig des le-
bendigen Gottes. Ganz gottlos konnten sie nicht leicht wieder werden,
denn in der Vereinzelung fühlten sie ihre Ohnmacht und darum die
Nothwendigkeit göttlicher Hülfe. Aber die Majestät des Einen wahren
Gottes vermochten sie in dem sich verdunkelnden Verstände und miß-
leiteten Herzen nicht mehr zu bewahren. Sie suchten sich andere,
ihrer herabgestimmten Fassungskraft näher liegende Götter, hinter
welche der lebendige Gott allmälig zurücktrat. Statt des vorsünd-
fluthlichen Unglaubens nahm der Aberglaube überhand, und an Stelle
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Vii. §. 2. Die einzelnen Bestandteile des Weltreichs und deren Mischung. 71
Herrn gemacht. 1 Mos. 10, 8 — 12 wird diese merkwürdige
Thcttsache berichtet, nämlich, daß eine hamitische Dynastie über
semitische und weiterhin auch über japhetitische Stamme die
Herrschaft gewinnt und sie zu einem gewaltigen Reich mit hamiti-
schen (schon bei Aegypten betrachteten) Staatsformen, Gottesdienst
und Lebensweise unter seinem Scepter vereinigt.
Auf keinem andern Gebiete der Welt finden wir eine ähnliche
Mischung aller drei verschiedenen Schichten des Menschengeschlechts
wieder, wie in den bezeichneten Länderstrecken zwischen dem kaspischen
und persischen Meer. Hier lagerte sich gleichsam das ganze Heiden-
thum ab. Jeder Hauptstamm gab seinen Beitrag und Alles schmolz
zu einem großen, riesigen Organismus zusammen. Bemerken wir die
Art der Zusammensetzung. Den Kern bildeten die Semiten, das
ernste, ruhige, einfache, den unsichtbaren Dingen zugewandte Geschlecht,
aber bereits getrennt von dem Volk der Wahl, dem Offenbarungsvolk
Israel, und selber in Abgötterei zurücksinkend. Neben ihnen die Ja-
phetiten, das bewegliche, thätige, vielgewandte, den Dingen dieser
Welt zngekehrte Geschlecht, welches aber doch einen innersten Zug zu
den Hütten Sem's hin, zur Beschäftigung mit himmlischen Dingen nie
verleugnen kann, das Volk unruhiger und unbefriedigter Sehnsucht,
darum kriegerisch, veränderungssüchtig, forschungslustig, in den man-
nigfaltigsten Formen und Gestaltungen die ganze Nordhälfte der alten
Welt mit politischen, sprachlichen, künstlerischen, gesellschaftlichen Neu-
schöpfungen erfüllend. Und zu diesen beiden Elementen endlich das
dritte, die Hamiten, das leidenschaftliche, grausame, genußsüchtige, in
kolossalen Anstrengungen sich verzehrende Geschlecht, zuerst von allen
gereift zu üppiger Cultur, gegliederten Staatsformen, Kunst und
Weisheil; aber unheimlich in seiner glühenden Phantasie, in seinem
trotzigen Streben, die Gottheit selber in die materielle Welt einzu-
schließen, Menschen zu Göttern zu machen oder doch mit göttlicher Hei-
ligkeit zu umkleiden und in dem Gottesdienst selber die roh-sinnliche
Lust und Genußgier zu befriedigen. Für sich allein stehend, mußte die
schnell zur höchsten Ueppigkeit herangereifte hamitische Cultur durch die
innere leidenschaftliche Gluth und Hast sich bald in sich selber verzeh-
ren (wie solches z. V. in Aegypten der Fall war). Aber in Babylon
und Assyrien fand der gewaltsame hamitische Vildungstrieb an der
semitischen Bevölkerung eine zähe Masse, die er nur langsam be-
wältigen und durchdringen konnte, und die zugleich mäßigend und er-
nüchternd auf die gewaltthätige Hast und überstürzende Neuschöpfungs-
und Gestaltungslust eines Nimrod und seiner Schaaren zurückwirkte.
Weiter aber entbehrte ein rein hamitischer und nicht minder ein rein
semitischer Staat fast ganz des kriegerisch nach außen vordringenden,
eroberungslustigen Elements, welches zugleich Geschmeidigkeit genug
besitzt, um auch auf fremde Entwicklungsformen leicht einzugehen und
sie sich anzueignen. Darum that die Beimischung der ja phetitisch en
Völker noch. Wir sehen, was irgend von natürlichen Kräften und Be-
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T22: [Volk Bewohner Sprache Land Bevölkerung Einwohner deutsche Religion Million Stamm], T11: [Reich König Land Stadt Jerusalem Jahr Syrien Sohn Aegypten Zeit]]
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Extrahierte Ortsnamen: Offenbarungsvolk
Israel Assyrien
118
X. §. 3. Sitte und Religion der Griechen.
Theilen des Landes zurück, bemächtigen sich namentlich der Küsten und
Inseln und erheben sich schnell zu dem herrschenden und tonangebenden
Volk. Sie selbst aber sind wiederum in eine Anzahl einzelner Stämme
getheilt, unter denen besonders die Dorer oder-Berggriechen und die
Jon er, Seegriechen, hervortreten. Neben ihnen stehen noch die älteren
Achäer; und alle übrigen Stämme werden bisweilen unter den Namen
Qt e o i i er zusammengefaßt. Es sind diejenigen Glieder des alten pelas-
gischen Geschlechts, welchevon der neu einströmenden hellenischen Cultur mit
erfaßt und gehoben sind. Diese Stämme bekriegen sich unter einander, ver-
drängen sich gegenseitig aus einein Theil des Landes in den andern und kom-
men mit ihrer unruhigen Beweglichkeit selten zu fest abgegrenztem, unange-
fochtenem Besitz. Mitten unter sie hinein treten auch noch andere Elemente,
besonders phönizische Colonieen, die neue Anregungen und Bildungsele-
mcnte, neue Gottheiten und Sitten mitbringen, aber auch das unruhige
Drängen auf dem kleinen Raum des griechischen Bodens noch vermehren.
Daher werden schon von frühester Zeit an alle Kräfte angespannt, der
Unternehmungsgeist wird entwickelt, kühne Thaten geschehen, einzelne
gewaltige Helden, Heroen, Göttersöhne, wie die Sage sie bezeichnet,
treten auf, säubern das Land von feindlichen Menschen und Thieren,
regen zu kühnen Unternehmungen an. Ihr Thatenruhm begeistert zu
Heldengesängen, und die herrlichsten Dichtungen erwachsen aus dem
bunten Gedränge der überströmenden Kräfte des begabten Geschlechts.
§. 3. Sitte und Religion der Griechen.
Bei ihrer großen Neigung zur Vereinzelung standen die griechi-
schen Stämme in großer Gefahr, gänzlich auseinanderzufallen und
das Bewußtsein der Gemeinschaft ganz zu verlieren. Wirklich son-
derten sich auch solche Colonieen, die den Boden des eigentlichen Grie-
chenlands verlassen und theils auf dem Festland und den Inselnthraciens
und Klein-Asien, theils im südlichen Italien und Sicilien sich nieder-
gelassen hatten, allmälig ganz von ihren Volksgenossen ab und ver-
loren das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit ihnen. Aber es gab
doch noch starke Bande, welche die einzelnen Stämme als eine Gesammt-
heit zusammenhielten. Das waren außer der vorher schon erwähnten
gemeinsamen Sprache besonders folgende: 1) Die allen gemeinschaftliche
Erinnerung und Ueberlieferung von der alten Heldenzeit. Die Sagen
und Lieder von Herakles und Kekrops und Kadmuö, von dem
liederreichen Amphion, vom Dan aus mit seinen 50 Töchtern,
vom Pelops und den Atriden, vom Perseus und Peleus, vom
Deukalion und Aktäon, die wundersamen Mähren von dem Ar-
gonautenzug, da Jason sich das goldene Vließ aus Kolchis holte,
von dem Krieg der Sieben gegen Theben und von ihren Epigonen,
vor allen Dingen aber Homer's unsterbliche Gesänge vom trojani-
schen Krieg und von den Irrfahrtendes heimkehrenden Odysseus —
TM Hauptwörter (50): [T22: [Volk Bewohner Sprache Land Bevölkerung Einwohner deutsche Religion Million Stamm], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T43: [König Held Sohn Mann Schwert Ritter Hand Tod Vater Feind]]
TM Hauptwörter (100): [T2: [Athen Stadt Sparta Griechenland Insel Krieg Korinth Peloponnes Theben Staat], T22: [Gott Zeus Sohn Tempel Göttin König Held Mensch Opfer Erde], T95: [Bewohner Sprache Volk Land Bevölkerung deutsche Stamm Religion Neger Einwohner], T98: [Volk Land König Krieg Zeit Feind Mann Macht Freiheit Kaiser], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
TM Hauptwörter (200): [T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T108: [Stadt Korinth Griechenland Peloponnes Insel Landschaft Name Athen Sparta Argos], T102: [Glocke Stimme Wort Hand Auge Ohr Kirche Ton Fenster Herr], T182: [Krieg Jahr Zeit Land Deutschland Regierung Frankreich Volk Folge Revolution], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen]]